Huch, bei Wacker Chemie geht die Welt nicht unter

Ein erfrischendes Interview.

Hi Cleantechie!

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Wir schauen heute auf ein bemerkenswertes Interview mit einem deutschen Chemie-Boss, der den richtigen Ton trifft. Zudem muss ich leider einen Mythos schleifen: Nein, US-Präsident Jimmy Carter ließ 1979 keine Solarzellen auf dem Dach des Weißen Hauses installieren.

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Let’s go!

Huch, bei Wacker Chemie geht die Welt nicht unter

Wacker-CEO Christian Hartel bei einer Jubliäumsfeier in China Quelle: Wacker Chemie AG

Christian Hartel, der Vorstandsvorsitzende von Wacker Chemie hat der FAZ ein bemerkenswertes Interview gegeben. (Geschenklink 🎁)

Es ist besonders, weil darin ein deutscher Chemie-Boss nicht den Untergang an die Wand malt, wie es etwa Martin Brudermüller von der BASF hier, hier oder hier getan hat.

Hartel nimmt die Herausforderung Klimakrise konstruktiv-pragmatisch an.

Ich greife das Interview hier wegen dieser Haltung auf und weil es ein interessanter Einblick in die Transformation der Chemieindustrie ist. (Einen Grundkurs über journalistisches und PR-Handwerk gibt es noch obendrauf, wie du sehen wirst).

Was Wacker Chemie macht

  • Der Spezialchemiekonzern Wacker Chemie sitzt im bayerischen Burghausen, hat knapp 17.000 Mitarbeiter und ist mit einem Umsatz von €6,4 Milliarden (2023) der zwölftgrößte Konzern der deutschen Pharma- und Chemiebranche.

  • Aber bei der Herstellung von Polysilizium gehört Wacker Chemie zu den Top drei der Welt.

  • Polysilizium ist ein Vorprodukt der Chip- und Solarindustrie. Die Produktionskette ist vereinfacht: Quarz → Silizium → Chlorsilan (gasförmig) → Polysilizium

  • Wacker Chemie destilliert in Deutschland Chlorsilan; das Silizium wird in Norwegen gewonnen. Die Destillation braucht drei Terrawattstunden (TWh) Strom pro Jahr, knapp ein Prozent des gesamten Stromverbrauchs in Deutschland.

  • Den Strom dafür bezieht Wacker über langfristige Lieferverträge, aus einem hauseigenen Gaskraftwerk und zum Teil über Wasserkraft. Die Produktion kann Wacker an den Strompreis anpassen, aber „mehr als 10 oder 20 Prozent“ hält CEO Christian Hartel für unrealistisch.

Was CEO Hartel im Interview sagt

Das ganze Interview ist deine Zeit wert, aber das sind die wichtigsten Passagen. Hervorhebungen jeweils von mir.

Über die Gefahr von Dunkelflauten:

Wenn wir da mehr Gehirnschmalz reinstecken, dann können wir mit Sonnen- und Windkraft vielleicht nicht 100 Prozent, aber bestimmt 70 oder 80 Prozent unseres Energiebedarfs decken. Da bin ich pragmatisch genug zu sagen: Dann sind es eben nur 80 Prozent. Hauptsache, es funktioniert.

Über die Idee, die Industrie mit flexiblen Preisen zu belohnen:

Ich finde, man kann diesen Wandel nicht einseitig auf die Industrie abwälzen. Die Anlagen wurden so gebaut, weil wir dadurch im Gesamtsystem eine hohe Effizienz erreicht und damit das Energiesystem gestärkt haben.

Wo Wacker noch Energie-Potential hat:

Wir haben andererseits aber auch viele Prozesse, bei denen Energie entsteht, die wir wieder einsammeln können. Diese überschüssige Energie könnten wir mit einer sehr großen Wärmepumpe dazu nutzen, Dampf zu erzeugen oder in andere Dampfstufen umzuwandeln.

Über die Energiewende

Die gute Nachricht ist: Technologisch ist dieses Thema gelöst. […] Das ist alles keine Raketenwissenschaft. Auch wenn wir gerade beim Netzausbau manchmal so tun, als ob wir zum Mond fliegen wollten. Dabei geht es, vereinfacht gesagt, doch bloß darum, einen Draht zu spannen.

🍏 Was ich denke

Hier meine persönliche Einschätzung. Feedback willkommen – ob Kritik oder Lob. Antworte direkt oder nutze die Kommentarsektion.

Firmen wie Wacker Chemie sind im Epizentrum der Klimatransformation.

Denn sie sind entlang dreier Achsen betroffen: Sie brauchen sehr viel Strom, sie brauchen sehr hohe Temperaturen um die 1600 Grad und sie nutzen für ihre Produkte chemische Prozesse, bei denen CO₂ als Nebenprodukt anfällt.

Niemand erwartet von diesen Firmen, dass sie als erste dekarbonisieren. Zum Teil können sie es nicht, weil die entsprechenden Prozesse zur CO₂-Vermeidung noch nicht skalieren. Ein gutes Beispiel für solche noch nicht skalierten Prozesse sind die neuartigen Ansätze zur Zement-Herstellung.

Aber was erwartet werden kann und langfristig auch für das Überleben dieser Firmen wichtig ist: die Dekarbonisierung schon heute anzugehen und sich nicht vor die Karren der Tagespolitik spannen zu lassen.

Nehmen wir das Beispiel Dunkelflaute. Ja, sie ist der größte Test für ein von Erneuerbaren dominiertes Energiesystem. Aber sie ist eben auch nur das; ein Test. Man kann ihn bestehen. Es gibt Lösungen.

Hartel hätte die Steilvorlagen, die ihm der FAZ-Redakteur gegeben hat, nutzen können, um alles schlecht zu reden, hat er aber nicht und das ist erfrischend zu lesen.

Aber natürlich steckt hinter dem ruhig-sachlichen Ton von Hartel auch Interessenspolitik im Sinne seines Unternehmens. So lese ich solche Interviews immer: als Wunschliste an die Politik.

Hartel würde gerne das Gaskraftwerk von Wacker Chemie in die nationale Kapazitätsreserve überführen (und dafür Geld bekommen), er beklagt, dass seine Prozesse so effizient seien, dass es da kaum Spiel für Flexibilität gäbe (und fordert implizit Entschädigungen). Er würde gerne Wasserkraft von nebenan nutzen, die schon existiert, bräuchte Förderung für eine Wärmepumpe und fordert Rabatte für Industriestrompreis.

Das ist eine lange Wunschliste, in Teilen mindestens bedenkenswert. Muss die grüne Energie wirklich neu dazukommen? Ist das nicht Denken aus dem Jahr 2000 als es nur wenig Erzeugung gab? Und auch die Förderung der großen Wärmepumpe, um die Abfallwärme weiter zu nutzen, hört sich vernünftig an.

Allerdings kann die Allgemeinheit dann auch nicht alles stemmen: Zusätzlich das bereits abgeschriebene Gaskraftwerk noch zu alimentieren, ist vielleicht nicht mehr vermittelbar.

Schade ist, das in dem Interview kaum zur Sprache kommt, was Wacker Chemie in Norwegen tut, um die stoffliche Seite seiner Emissionen anzugehen. Dort testen sie eine CO2-Abscheideanlage und letztlich sind es diese Projekte, die über Net Zero in der Chemiebranche entscheiden.

Denn die Energieseite ist prinzipiell gelöst, die Wärmeseite ist es zunehmend, aber die stoffliche ist noch völlig offen.

Ein Wort noch zum Interview-Stil: Auf Bluesky kritisierten viele Leute die suggestiven Fragestellungen. Dabei wendet die FAZ hier einfach eine klassische journalistische Methode an: spitze Fragen, um möglichst prägnante Antworten zu bekommen. Absolutes Standardgeschäft und gerade wichtig bei CEOs mit Medientraining.

Reine Stichwortgeber braucht doch niemand.

👉️ Steige tiefer ein

  • Wie China das Rennen um die Solarkraft gewann. In dem Text (€) bei Bloomberg geht es auch die Polysilizium-Industrie

  • High-Level-Überblick über Methoden zur CO2-Abscheidung

Nein, Carter ließ keine Solarzellen auf dem Dach des Weißen Hauses installieren

Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter ist gerade verstorben. Bekannt wurde Carter auch dafür, dass er 1979 Solarzellen auf dem Dach des Weißen Hauses installieren ließ. Hieß es jedenfalls immer.

Allein, Carter ließ keine Solarzellen installieren, sondern eine Solartherme, wie das Bild deutlich zeigt. Die Anlage heizte das Wasser für Teile des Weißen Hauses auf, erzeugte aber keinen Strom. Zuerst war ich ein wenig enttäuscht davon.

Aber Carter begründete die Installation damals mit erstaunlichem Weitblick:

[…] a generation from now, this solar heater can either be a curiosity, a museum piece, an example of a road not taken, or it can be a small part of one of the greatest and most exciting adventures ever undertaken by the American people; harnessing the power of the Sun to enrich our lives as we move away from our crippling dependence on foreign oil.

Die wichtigen News

Nachrichten, über die die Branche gerade spricht.

☀️ Solarindustrie

  • Qcells: Perowskit-Tandem-Solarzelle erreicht 28,6 % Wirkungsgrad (Solarserver)

  • Bayern macht Solarparks an der Autobahn genehmigungsfrei (BR)

  • Aluminiumrahmen treiben die Solarmodulkosten: Verschiebung der Industriepreise (PV Magazine)

  • Ausbau des Stromnetzes in Deutschland kommt voran (Solarserver)

🌬️ Windkraft

  • Rekordniveau bei Windenergie: Zuschläge und Neugenehmigungen in 2024 (Solarserver)

  • Europäischer Windradbauer errichtet Pilotanlage mit chinesischen Prototypen (Erneuerbare Energien)

🔋 Batterien und Speichertechnologien

  • Kalifornien: Stromnetz mit 100 % Erneuerbaren – ohne Blackouts, aber steigende Kosten (Electrek)

  • 457 Stunden mit negativen Strompreisen: 2024 insgesamt weniger Preisspitzen (PV Magazine)

🔧 Andere Technologien

  • So will Linde die Zementindustrie grüner machen (Ingenieur.de)

  • Europas größte Wärmepumpe: Vorzeigeprojekt in Köln vergibt Aufträge (FAZ)

  • Commonwealth Fusion plant weltweit erste kommerzielle Fusionsanlage (Bloomberg)

  • Plasma-Reaktor stellt Treibstoff der Zukunft CO₂-frei her (Notebookcheck)

  • Electra entwickelt günstige und saubere Methode zur Eisenreinigung – Finanzierung von 257 Mio. USD gesichert (TechCrunch)

  • Produktionsstätte für erneuerbares E-Methanol in Dänemark eröffnet (Energiezukunft)

📈 Markt- und politische Entwicklungen

  • 62,7 % der öffentlichen Stromerzeugung 2024 durch Erneuerbare erreicht (PV Magazine)

  • 2025 sinken die Netzentgelte vielerorts dank neuer Kostenverteilung (PV Magazine)

  • Schwankende Netzstabilität in der Nähe von Rechenzentren (Golem.de)

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Rico Grimm

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